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Kunstprojekt Unart: Zwischen Kunst und Therapie

Zwischen Kunst und Therapie

Zwischen den einzelnen theoretischen und programmatischen Überlegungen werden Schilderungen aus unserer Praxis und deren mögliche Interpretation eingeschoben. Abschließend sollen wesentliche Aspekte aus den beiden Bereichen in Bezug auf eine kunsttherapeutische Praxis zusammengefasst und miteinander verknüpft werden.

Ein 17-jähriger Jugendlicher wurde wegen einer Nierenerkrankung seit dem 7. Lebensjahr dialysiert. Eine Transplantation mit 14 Jahren brachte nur vorübergehende Befreiung von dem Anschluss an eine künstliche Niere. Hinzu kamen eine ausgeprägte Wachstumsstörung und körperliche Veränderungen durch die notwendige Dauermedikation. In dieser Situation wurde er sehr depressiv und lebensmüde. In unserer Kunstgruppe malte der Jugendliche bald von sich aus auf einem großen, auf dem Boden liegenden Stück Papier (ca. 2×2m) zwei runde Seen, welche durch einen Bach miteinander verbunden waren. In dem bildlich geschlossenen System floss ständig Schmutzwasser von dem einen in den anderen See. Das Bild wurde danach an der Wand des Ateliers aufgehängt. Der Jugendliche hatte seine Situation sofort in einem großen Bild dargestellt und diese war nun für alle im Raum präsent.

Der von GORSEN für therapeutische Aspekte vorgezogene „Prozess“ anstelle von „Kunst“ taucht nach Theodora VISCHER /1983, 1986) in der Kunsttheorie erstmals in der Frühromantik mit Phillip Otto RUNGE und seiner Vorstellung eines prozessualen Geschehens auf.

RUNGE fordert eine Übereinstimmung zwischen „innerster Empfindung“ und „äußerer Gestalt“. Er setzt damit die schöpferische Kraft des künstlerischen Subjektes an die Stelle eines von außen vorgegebenen Inhaltes und des damit verbundenen Gegenstands und Themenbereichs der Kunst. Seine Forderung bedeutet eine radikale Relativierung der Bedeutung des Gegenstandes. Der Produktion eines abgeschlossenen Kunstwerkes wird eine dynamische, prozessuale Vorstellungswelt gegenübergestellt. Damit verliert der Betrachter seine passiv-rezeptive Rolle und gerät in eine über das Kunstwerk aktivierte Beziehung. Für den Künstler stellt sich die Frage nach der „Wirkungsabsicht“ auf den Betrachter mittels Kunst. Diese erfordert nach RUNGE eine Studium und eine Theorie der Naturkräfte, die in den mitteln der Malerei wirksam sind. RUNGE zitiert nach VISCHER „ Es ist indessen. . . nicht genug, dass wir in die Erscheinung eindringen und uns solche in der Natur erklären können, sondern es ist ebenso notwendig, dass wir in die Natur unseres Material. . . eindringen, und dass wir wissen, welche Ähnlichkeit unsere Mittel mit denen haben, durch welche die Natur Würkung hervorgebracht werden.“

Also nicht nur die Themen (abgebildeter Gegenstand, etc.) sondern auch die Mittel sollen die „Kräfte des Universums“ mitteilen. Das heißt, die Mittel der Kunst, beispielsweise die Substanz Farbe mit ihren unendlichen materiellen Eigenschaften und spirituellen Verweismöglichkeiten, identifizieren sich mit ihrem anschaulichen Inhalt.

Josef BEUYS hat die „frühromantischen Tastversuche“ eines Zusammenspiels von materiellen, geistigen, wissenschaftlichen und metaphysischen Überlegungen fortgesetzt und bildnerisch souverän gelöst, indem er beispielsweise „kunstfremde“ Materialien (Fett, Filz, etc.) und deren Wirkung als Bildmittel angewandt hat. Der Aufforderungscharakter seiner Arbeiten, die Art des Einsatzes von Form und Material, die zentrale Bedeutung des kreativen Menschen in seiner plastischen Theorie weisen bei BEUYS auf die seinem Schaffen zugrunde liegende Absicht, unter Anrufung der Eigenverantwortung jedes Menschen zum Denken und Handeln zu provozieren.

Ein Junge im Vorpubertätsalter baut über mehrere Nachmittage leidenschaftlich an einem Floß. Er befestigt Reifen an einer Holzpalette, installiert 2 Sitze und ein blaues Segel. Er stellt sich vor, dass er gemeinsam mit seinem Freund auf einem Tümpel vor der Klinik oder dem Baldeneysee das Floß schwimmen lässt. Sein Freund soll angeln, er wird rudern. Über seine Vorgeschichte wissen wir von Komplikationen in der Schwangerschaft und der folgenden Frühgeburt. Den anschließenden mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt empfindet die Mutter als erschwerend in der Beziehung zu dem Säugling. Es entwickelt sich eine vom Kleinkindesalter bis heute anhaltende Enuresis. Mit dem Floßbau erfolgt nun eine Art Außendarstellung seiner Symptomatik. Diese kann in ihrem tieferen Sinn als Möglichkeit zu überleben (z.B. ich bin befähigt, mir eine Mutterleibssituation wiederherzustellen“) verstanden werden. Das Schicksal der sehr frühen Mangelerfahrung lässt sich nicht ändern, aber durch die spontan eingetretene symbolische Veräußerung und Transformation wird eine Entmachtung des Symptoms denkbar. Seine ursprünglich notwendige Funktion entfällt.